[ Grumpelview ] Briefkontakt mit El Diabolo

Langsam und vorsichtig öffnete sich die Tür des grün-weißen Schrankes, der sich in der Ecke eines Raumes in einer kleinen Wohnung am Stadtrand befand. Kleine, weiße Klauen griffen um die Tür herum und ein scheuer, aber wachsamer Blick huschte durch den Raum.
Auf den ersten Blick war niemand zu sehen, aber als das kleine Grumpelchen die Tür noch ein Stück weiter öffnete, fiel sein Blick sofort auf diese imposante Erscheinung.
Erschrocken schlug es die Tür wieder zu und kaute auf seiner Unterlippe herum. “Wie soll ich ihm denn gegenüber treten, ohne gleich in Panik auszubrechen oder rot anzulaufen? Wie soll ich denn ein vernünftiges Gespräch mit ihm führen, wenn sein Status nicht das einzige ist, was so unfassbar groß ist?”, murmelte es vor sich hin und lief in seinem kleinen Schrank unruhig hin und her.
Es glitt mit einer Klaue durch sein kurz geschorenes Fell und warf immer mal wieder einen Blick auf die Tür. Draußen konnte er genauso deutlich die Schritte seines Gesprächspartners
vernehmen und die Ungeduld in diesen war nicht zu überhören.
Plötzlich kam ihm die rettende Idee: Er konnte die Fragen einfach aufschreiben und sie aus der Tür des Schrankes herausfallen lassen. Sofort lief es auf eine der Ecken zu und nahm sich Stift und Zettel zur Hand.

»Wenn das ein übler Scherz von Alistair sein soll, finde ich es nicht witzig«, ruft Jericho seiner
Autorin entgegen, nachdem er das Papier entgegengenommen und die Schranktür geschlossen hat.
Penelo lacht und schüttelt den Kopf. »Das ist kein Scherz von deinem Bruder. Es sind Fragen, die du für einen Fan beantworten sollst. Da ist doch nichts dabei, also stell dich nicht so an.«
Hmpf. »Seit wann habe ich Fans, die sich zudem in meinem Schrank verstecken und so aussehen wie eines der flauschigen Geschöpfe aus Nells Zimmer?«
Penelo verdreht die Augen. »Seit wir eure Geschichte veröffentlicht haben. Die Leser lieben euch und du bist einer ihrer Lieblinge.«
Seine Augenbrauen wandern langsam nach oben und er starrt zurück auf das Blatt. »Wieso sollten sie mich lieben? Es reicht, wenn Nikka das tut.«
»Schon klar. Aber es ist, wie es ist. Wir haben darüber gesprochen, was passiert, sobald jeder eure Story lesen kann. Was ihr tut und wer ihr seid, darüber wissen sie nun Bescheid.«
Er schnaubt. »Ja, ja, Schreiberling. Verschwinde aus meinem Büro, damit ich mir das hier mal
durchlesen kann. Scheint ziemlich neugierig, dieser Fan und seine Fragen sind … sehr speziell.«
Jerichos Mundwinkel wandern langsam nach oben, als Penelo die Tür schließt und ihm seine
Privatsphäre gibt.


Ähm.. hallo .. ich bin das Grumpelchen und meine Besitzerin kam auf die Idee, dass es doch
sicherlich einmal interessant wäre, wenn wir uns zu einem kleinen Plausch in meinem Schrank
treffen, aber .. das ist nicht so einfach.
Nicht, dass ich Angst vor dir habe, es ist eher .. Respekt, denn ich habe schon viel von dir gehört. Verdammt viel.
Und ähm.. dieser Brief fällt mir leichter, als dir direkt gegenüber zu treten, also wäre es ähm.. sehr nett, wenn du mir die Fragen auch auf diese Weise beantworten könntest.
Also .. ähm.. wo fange ich an.
Ja, genau. Erzähl mir doch erst einmal ein bisschen über dich? Geht das? Wer bist du? Was
machst du? Und ähm.. wie lebt es sich so innerhalb eines Mafia-Kartells? Und deine Tattoos ..
haben die alle eine Bedeutung oder hast du einige von ihnen auch Just for Fun stechen lassen? Oder vielleicht sogar nur des Schmerzes wegen?


Mierda, ich hoffe, das ist wirklich kein Scherz. Also, was soll ich schreiben? Mein Name ist Jericho Felíx, ich bin 27 Jahre alt, wohne in Mexiko, wurde in Nordamerika geboren und von einem Kartellboss adoptiert.
Aktuell bin ich der Teniente des Felíx-Kartells. In deiner Sprache würde man es wahrscheinlich am ehesten als Stellvertreter oder rechte Hand bezeichnen. Ich hoffe, du weißt, was ein Kartell ist und dass wir nicht gerade legale Sachen machen. Wenn du die Bücher gelesen hast, weißt du, was ich so tue.
Wie es sich innerhalb eines Kartells lebt? Hm, stell es dir wie eine gut laufende Firma vor. Es gibt einen Jefe, in unserem Fall eine Jefa, dann mich. Die Vorstandschaft und die Security und danach die Angestellten. Der einzige Unterschied, ist, dass die nicht einfach gefeuert werden, sollten sie Mist bauen. Wenn du verstehst, was ich meine.
Meine Tattoos haben natürlich eine Bedeutung. Sie sind wie ein Käfig, um etwas darin
gefangenzuhalten, was nicht nach außen dringen sollte, darum verläuft die schwarze Tinte über meinen gesamten Körper. Zusätzlich verdeckt sie einige Narben meiner Vergangenheit, über die ich ungern spreche.
Die beiden Revolver auf meinem Rücken sind exakte Abbildungen meiner Lieblingswaffen.
Die Zeichen, die auf meiner Wirbelsäule nach unten verlaufen, bedeuten in der Sprache der Cree – meine Eltern stammen von ihnen ab – so etwas wie Familie. Der lateinische Spruch auf meinem rechten Schulterblatt, Eritis sicut dii scientes bonum et malum bedeutet übersetzt: »Ihr werdet sein wie die Götter, wissend, was Gut und Böse ist.« Ich glaube, das ist selbsterklärend.
Auf dem linken Schulterblatt sitzt das aztekische Symbol der Las Sombras, ein Katzenkopf in
einem Kreis voller Muster. Der Gato Negro, also die schwarze Katze steht für meinen Adoptivvater und der Ring darum, steht für unsere Familie. Für meine Brüder und mich.


Die ersten Fragen waren für das Grumpelchen nicht sonderlich schwer und so konnte es auch ein wenig mehr Zeit schinden. Die Schritte vor dem Schrank waren leiser geworden, aber es war sich sicher, dass sein Gesprächspartner noch immer im Raum war.

Wenn du Nikka nicht hättest suchen müssen, hättest du dann überhaupt jemals Notiz von ihr
genommen? Und wie war eure allererste Begegnung? So, wie du sie dir immer vorgestellt hast?


Ich glaube an das Schicksal. Sie wäre mir sicher eines Tages über den Weg gelaufen. Außerdem wusste ich bereits vor meinen Brüdern von ihr. Mein Vater hatte mir als ich volljährig wurde ein Foto von ihr gegeben. Schon damals sollte ich ein Auge auf sie haben. Um im selben Internat aufgenommen zu werden, war ich bereits zu alt. Sie war sicher dort, also habe ich nichts weiter unternommen. Dass sie zwei Jahre später spurlos verschwinden würde, konnte ich nicht ahnen. Zu der Zeit, passierte zu viel auf einmal, darum konnte ich nicht gleich nach ihr suchen.
Ihr dann zu begegnen, war wie eine … Naturgewalt. Meine Brüder hatten sie nicht im Griff,
wodurch beinahe jemand von ihnen drauf gegangen wäre. Ich musste sie betäubt nach Hause
bringen, was so eigentlich nicht geplant gewesen war. Und als sie dann zum ersten Mal vor mir gestanden hat, mit all diesem Zorn und der Skepsis in ihrem schönen Gesicht, wusste ich, dass ich ein Problem mit ihr bekommen würde.


Durch die Erzählungen, die das kleine Monster von seiner Besitzerin kannte, hatte es zwar einen Eindruck von seinem Gesprächspartner bekommen, aber trotzdem fiel es ihm unglaublich schwer, überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. Diese imposante Erscheinung, die es vor der Tür erblickt hatte, reichte schon vollkommen aus, dass es sich in seinem Schrank verschanzte.

“Ähm.. weiter gehts. Wie .. ist das Zusammenleben mit Nikka? Fällt es dir leicht, sie mit deinen
Brüdern zu teilen? Und wie wäre es für dich, wenn sie dich gar nicht erst an sich hereingelassen hätte? Hättest du es akzeptiert oder sie gezwungen, auch ihre Zeit mit dir zu verbringen?


Diese Frau treibt mich in den Wahnsinn. Sie fordert mich heraus, wie es noch keiner zuvor gewagt hat. Manchmal könnte ich sie erwürgen, nur so ein ganz kleines bisschen. Gleichzeitig ist sie aber auch die Einzige, die genau weiß, wie sie mich um den kleinen Finger wickelt, um alles von mir zu bekommen. Worüber sich meine Brüder köstlich amüsieren. Diese Idiotas.
Es gibt Tage, da schreien meine inneren Dämonen aus Eifersucht. Der rationale Teil in mir ist ganz froh, dass sie die drei hat. Einer allein würde mit dieser Frau nicht klarkommen. Dafür hat sie zu viel Feuer im Arsch. Sie braucht jeden einzelnen als Ausgleich. Es funktioniert … irgendwie.
Ich wollte anfangs nicht, dass sie mir zu nahe kommt, weil ich dachte, ich würde auch bei ihr die Kontrolle verlieren. Dass ihr das nicht gefiel, hat sie mir ziemlich deutlich klargemacht.
Ich hätte sie niemals dazu gezwungen, Zeit mit mir zu verbringen. Dass ich als ihr Teniente für den Rest meines Lebens an ihrer Seite verbringen durfte, hätte mir ausgereicht. Auch wenn ich darunter gelitten hätte. Ihr Wohlbefinden steht immer an oberster Stelle.


Grübelnd tippte sich das Grumpelchen mit dem Bleistift gegen die Unterlippe. Die Fragen gingen ihm inzwischen erstaunlich leicht von der Hand, aber es wusste, dass das nur daran lag, dass es seinem Gesprächspartner nicht direkt gegenüberstand.

Was liebst du an Nikka eigentlich besonders? Und was würdest du ihr am liebsten abgewöhnen?
Womit bringt sie dich so richtig zur Weißglut? Und wie ist es ähm.. also du weisst schon .. wie fühlt es sich für dich an, wenn du .. ähm.. mit ihr schläfst?


Ich liebe es, dass sie vor nichts zurückschreckt. Egal, was auf sie zukommt, sie gibt ihr Bestes und hat dabei immer das Wohl aller im Blick. Man merkt, dass sie sehr darunter gelitten hat, keine Familie zu haben, darum kämpft sie jetzt umso mehr für jedes einzelne Mitglied.
Sie hat die Rolle ihres Vaters überraschend schnell übernommen und sucht immer noch nach
Wegen, es besser zu machen. Sie ist ziemlich erstaunlich, wenn du mich fragst.
Dass sie mich dabei allerdings manchmal nicht einweiht, geht mir auf den Sack. Ihre Solonummern, wenn sie unbedingt ihren Kopf durchsetzen muss, zerren dermaßen an meinem Nervenkostüm, dass ich sie am liebsten wegsperren und ihr den Kopf frei… , das ist nicht jugendfrei. Wie alt bist du eigentlich? Steckt hinter deinen Fragen nur Neugierde oder bist du so ein kleiner … Du sitzt aber nicht in unserem Schrank, wenn …? Mierda, ich glaube, ich spinne. Ich brauche Schlösser an allen Schränken.


Erneut huschte sein Blick zur Tür und Nervosität machte sich in ihm breit, als es erneut Schritte vernahm. Schritte, die sich seinem Schrank näherten.

“Okay, ähm .. eine Frage habe ich noch .. sagst du einer Frau direkt, dass du sie liebst oder zeigst du es ihr lieber? Und wenn ja, wie?

Die einzige Frau, der ich diese Worte gesagt habe, war Nikka. Sie bekommt sie auch äußerst selten zu hören, weil ich es ihr lieber zeige. Indem ich Dinge tue, von denen ich genau weiß, dass sie ihr gefallen. Wenn ich mich um ihre beiden Nervensägen kümmere, zum Beispiel. Weiß der Teufel, warum sie so auf Kinder steht.
Oder wenn ich für sie Klavier spiele. Sie liebt es und dann kann sie mir auch nicht mehr
widerstehen. Wenn sie also wütend auf mich ist, muss ich mich nur an den Flügel setzen und schon ist der zornige Zwerg besänftigt und ich kann beinahe alles mit ihr machen.
Manchmal reicht es auch, sie einfach in die Arme zu nehmen, ich genieße es mittlerweile, wenn sie sich dabei fallen lässt. Und ich weiß genau, dass sie es nicht ständig von mir hören muss, sie weiß es. Darum trägt sie auch meinen Ring am Finger.


Kaum, dass es das letzte Satzzeichen gesetzt hatte, öffnete sich die Tür zu seinem Schrank mit einem Krachen und das kleine Monster erschrak. Es ließ den Stift fallen und streckte zitternd den Zettel mit einer Hand zu dem Mann aus, der sein Gesprächspartner sein sollte.
Jericho Felix. El Diablo.

Eine weitere Frage lag dem kleinen Monster tatsächlich noch auf der Zunge. Es zögerte, bevor es sie stellte und war umso überraschter, als Jericho sie nach ein paar Minunten Bedenkzeit dann doch noch beantwortete.

So du kleines Ungeheuer. Ich hoffe doch, dass deine Frage damit beantwortet ist. Nicht jeder wird als Monster geboren, den meisten bleiben aufgrund äußerer Umstände und um die zu beschützen, die sie lieben, keine andere Wahl.

Sincerely,
Jericho Felíx

P.S. Ich wäre äußerst missgestimmt, wenn ich diese Geschichte irgendwo lesen könnte. Sie ist nicht für fremde Ohren bestimmt. Also zähle ich auf deine Verschwiegenheit! Ich hoffe du erkennst die Drohung hinter diesen Worten.


Es gab nur ein kleines Problem, denn Jerichos Geschichte war mit einer strengen Bitte verbunden. Mit einem Gefallen, die es dem Mann vor sich unmöglich abschlagen konnte, wenn es nicht auf ewig in seinem Schrank versauern wollen würde. Oder andere Jagdgründe kennenlernen wollte.
Es erkannte. Es erkannte die Drohung hinter den letzren Worten des gefürchteten El Diablo.

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